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Die vielen Facetten des Personenkults um Karl Lueger

Gastkommentar von
Harald D. Gröller

Harald D. Gröller, geb. 1978, Studium der Geschichte und Literaturwissenschaft in Graz, Hannover, Debrecen, Mag. DDr. phil., dzt. MOEL-Stipendiat

Vor rund 100 Jahren starb mit Karl Lueger wohl einer der umstrittensten Politiker Österreichs, der sich als Wiener Bürgermeister zum einen sehr um die städtische Kommunalentwicklung verdient gemacht hat, sich zum anderen für die Erlangung und Festigung seiner Macht aber der ausgrenzenden und diskriminierenden Politik eines populistischen Antisemitismus und Antimagyarismus bedient hat. Diese Ambivalenz zu Lebzeiten Lueger, kombiniert mit der postmortalen Instrumentalisierung seiner Person ist u.a. dafür verantwortlich, dass auch rund ein Säkulum nach seinem Tod seine Beurteilung im kollektiven Gedächtnis umstritten ist, was u.a. an der immer wieder heftig diskutierten Frage nach der Umbenennung der Dr.-Karl-Lueger-Ringes in Wien deutlich wird. Nun, wie entwickelte sich dieser Personenkult rund um Karl Lueger?

Schon Lueger selbst betrieb als eine der auffälligsten politischen Figuren in der Zeit der Entstehung der Massenparteien etwas, was man heute als normales Merchandising bezeichnen würde, was aber zu seiner Zeit in dem von ihm und seinem Umfeld betriebenen Umfang absolut innovativ war. Sei es die Illusion der Verfügbarkeit, die er seinen weiblichen Anhängern durch seine Ehelosigkeit bzw. die Geheimhaltung seiner Beziehungen gab, sei es der für ihn von Eduard Nerradt komponierte „Lueger-Marsch“, der bei verschiedensten Veranstaltungen abgespielt wurde, seien es – um nur ein Beispiel der äußerst umfangreichen diesbezüglichen „Devotionalienlandschaft“ zu nennen – die Lueger-Teller, die bei Wahlkampfveranstaltungen als „Trägersubstanz“ für Würstel und Senf ausgeteilt wurden, und die dem Esser nach Verzehr der Speise in Form des Porträts Luegers am Teller visualisierten, wem sie das soeben Konsumierte verdankten.

Hinzu kommt etwas, was man heute wohl als geschickte Corporate Identity bezeichnen würde, nämlich Luegers charakteristischer Bart, der ihn auf allen Darstellungen leicht identifizieren ließ/lässt. Und von diesen gab und gibt es reichlich, wie z.B. diverse Gemälde (z.B. von Wilhelm Gause), Porträts, Ansichtskarten, Karikaturen, Reliefs etc.

Ja, es gibt sogar Altarbilder (z.B. in den Kirchen am Zentralfriedhof, in Lainz und in Hietzing) auf denen Lueger dargestellt ist. Sie verdeutlichen eine weitere Ebene des Kults um den christlichsozialen „Volkstribun“, die religiös-sakrale. Da verwundert es auch schon kaum mehr, dass es für den „Herrgott von Wien“ – ein weiterer Spitzname Luegers – sogar ein eigenes Glaubensbekenntnis gibt, dass mit den Worten „Ich glaube an Dr. Lueger“ beginnt. Des Weiteren prägte sein Name auch den öffentlichen Raum Wiens, z.B. durch die 1907 erfolgte Umbenennung des Rathaus- in den Karl-Lueger-Platz, durch diverse Tafeln mit der Inschrift „Errichtet unter Bürgermeister Karl Lueger“. Außerdem wurden verschiedene Denkmäler, Büsten etc. für Lueger errichtet, der auch schon zu seinen Lebzeiten Gegenstand literarischer Werke (u.a. von Andreas Eckhart, Karl Conte Scapinelli) wurde.

Nach dem Tode Luegers, dem ein langes und öffentliches Dahinsiechen vorangegangen war, wurde er von Seiten der Christlichsozialen als Mahnung zur Parteieinheit verwendet, was auch notwendig war, da ihr Konzept ganz auf die Person Luegers - der in der multiethnischen Reichshaupt- und Residenzstadt Wien den Paradedeutschen Österreichs repräsentieren sollte -zugeschnitten war, und es zu dieser Zeit praktisch kein Parteiprogramm gab.

Nach dem Zerfall der Habsburger-Monarchie, der Übernahme der Stadtverwaltung Wiens durch die Sozialdemokraten und dem Auftreten einer anderen charismatischen christlichsozialen Führungspersönlichkeit, Dr. Ignaz Seipel, ging der Kult um Lueger in den 20er Jahren etwas zurück. Ausnahmen bildeten dabei zum einen der Literatursektor, da verschiedene historisch-biographische Lueger-Romane (z.B. von Edmund Daniek und Theodor Heinrich Meyer) entstanden, zum anderen die Errichtung des monumentalen Lueger-Denkmals am Stubenring, welches 1926 eingeweiht wurde.

Eine Renaissance erlebte der Lueger-Kult ab dem Jahr 1934 mit der Schaffung des christlichen Ständestaates und der Forcierung eines Österreich-Bewusstseins. Dies zeigt sich z.B. an der Umbenennung des Ringabschnittes in den Dr.-Karl-Lueger-Ring oder der von höchsten politischen Repräsentanten protegierten Aufführung des Volksstücks „Lueger, der große Österreicher“ von Hans Naderer. Nun wurde Lueger eben als Paradeösterreicher instrumentalisiert, was sich z.B. im Bereich der Numismatik dahingehend bemerkbar machte, dass 1935 – zu seinem 25. Todestag – eine sein Porträt tragende Doppelschillingmünze zur Ausgabe gelangte, wobei diese Serie u.a. Münzen von Dollfuß, Seipel, aber auch Prinz Eugen, Mozart oder Haydn umfasste. Hinzu tritt eine Verklärung der Lueger-Zeit, wovon verschiedene Lieder (das bekannteste ist wohl „Der Doktor Lueger hat mir einmal die Hand gereicht“ in der Interpretation von Hans Moser) Zeugnis abgeben.

Nach dem sog. „Anschluss“ diente Lueger, der von Hitler in „Mein Kampf“ als „größter deutscher Bürgermeister“ bezeichnet wurde, der NS-Propaganda als regionales Identifikationsangebot für die Bevölkerung der nunmehrigen Ostmark (bzw. der Alpen- und Donaugaue), wobei man sich hier u.a. auch des Mediums Film bediente, was zur Produktion des NS-Films „Wien 1910. Die letzten drei Tage im Leben des Volksbürgermeisters Karl Lueger“ führte.

Nach 1945 wurde Lueger bzw. seine Zeit zunächst – dem Trend der Zeit entsprechend, man denke nur an die Heimatfilmromantik etc. – völlig unkritisch-verklärt behandelt (beispielsweise in Maria Stöcklers „Lueger-Lied“ oder im Theaterstück „Der Pumera“). Auch auf dem Gebiet der Biographik wurde – mit wenigen Ausnahmen - Luegers populistische Hetze durch seine kommunalpolitischen Leistungen quasi „entschuldigt“. Eine kritische Auseinandersetzung (dazu wäre z.B. ein Kurzauftritt eines als Lueger verkleideten Schauspielers im Film „1. April 2000“ zu zählen) fand zu dieser Zeit nur bedingt statt. Vermehrte Aufmerksamkeit wurde Lueger dann in den 1980/90er Jahren (u.a. anlässlich seines 75. Todestages) – in Form von Ausstellungen, Kranzniederlegungen etc. – zuteil. Allerdings ist erst in letzter Zeit ein Trend bemerkbar, sich mit Lueger, seinen Leistungen, aber auch seinem gefährlichen Populismus wirklich differenzierter zu beschäftigen, wozu zum einen die amerikanischen und englischen Lueger-Biographien (Geehr, Boyer), zum anderen Projekte wie z.B. „The Vienna Mirror - das starke und verwundbare Herz der Demokratie“ von Bernd Fasching (2003), „Zeitfenstern in die Vergangenheit“ von Erich Koller (2009) ihren Teil dazu beitragen. Auch das gegenwärtige Projekt zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Wien und Österreich intendiert u.a. eine kritische und differenzierte Auseinandersetzung mit Lueger, aber auch mit der diesbezüglichen Erinnerungskultur, wozu ihm ein gutes Gelingen zu wünschen ist.